Auf Spielplätzen gibt es zwei Extremtypen von Eltern. Den einen ist es egal, ob ihre Kinder anderen die Schaufel mopsen oder auf dem Klettergerüst schubsen, solange sie in Ruhe auf ihr Handy schauen können. Die anderen wachen mit Argusaugen über ihren Nachwuchs, folgen ihm bei jedem Schritt und halten ständig eine Hand ans kletternde Kind.

Hinweise dazu fanden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer australischen Studie, für die sie 645 Erziehungsberechtigte mit Kindern im Grundschulalter zu ihrer Einstellung hinsichtlich Risiko und Verletzungen beim Spielen befragten.
Nach Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollten sich Kinder und Jugendliche mindestens eine Stunde am Tag bewegen. Nach Erfahrungen des Berliner Kinderarztes Jakob Maske erreichen das hierzulande nur wenige.
«Bei den meisten Kindern sind es nicht einmal 30 Minuten am Tag», sagt der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ). Dafür verantwortlich ist seiner Ansicht nach unser Lebenswandel - und teilweise auch die Eltern. «Es wird vielmehr Auto gefahren. Und dieses Bewegungsverhalten der Eltern färbt auf die Kinder ab.»
Doch nicht nur aus Bequemlichkeit, sondern auch aus Sorge, dass etwas passieren könnte, fahren manche Eltern ihre Kinder zur Schule, zum Fußballtraining oder Musikunterricht. Zum Teil tragen schon Grundschulkinder ein Smartphone oder eine Smartwatch, damit die Eltern sie immer erreichen oder dank Ortungsdienst sehen können, wo sie sich aufhalten. Helikopter-Eltern werden solche Eltern genannt, die überfürsorglich sind, ihre Kinder rund um die Uhr behüten und vor allen Gefahren und schlechten Erfahrungen schützen wollen.
«Wir leben nicht mehr in Zeiten, wo Eltern ihre Kinder nebenbei erzogen haben, fünf, sechs gleichzeitig», erläutert Claudia Neumann vom Deutschen Kinderhilfswerk. «Jetzt ist es oft das einzige Kind, auf das man ganz besonders aufpasst und bei dem man alles richtig machen will.» Diese Entwicklung habe auch etwas Positives. Dadurch habe Kindheit heute einen ganz anderen Stellenwert. «Es artet an mancher Stelle aber aus.»
So trifft man auf Spielplätzen auf Eltern, die ihre Kinder nicht im Gebüsch spielen lassen aus Angst vor Zeckenstichen oder die panisch angerannt kommen, sobald sich das Kind etwas höher aufs Klettergerüst wagt. Neumann hält das für falsch: «Das, was sich Kinder allein zutrauen, sollte man zulassen - natürlich anfangs mit den Augen dabei, aber nicht mit einer gefühlten Sicherheitsmatte darunter.»
«Natürlich passieren Unfälle auf Spielplätzen», sagt der Kinderarzt Maske. «Aber die schwersten Unfälle passieren im häuslichen Umfeld.» Also dort, wo Kinder vermeintlich in Sicherheit sind. Sie stürzten zum Beispiel vom Hochbett oder einer versehentlich stehengelassenen Leiter, sagt Maske. Dazu kämen Verbrennungen oder Vergiftungen mit Putzmitteln.
Laut der Langzeitstudie «KIGGS» zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (Erhebungswelle 2009 bis 2012) passieren 34,8 Prozent der Unfälle zuhause oder im privaten Umfeld, 24,2 Prozent in der Schule oder in anderen Betreuungseinrichtungen und 17,4 Prozent auf dem Spielplatz oder beim Sport.
Manchmal können sogar die Eltern selbst eine Gefahrenquelle auf dem Spielplatz sein. Zum Beispiel dann, wenn sie kleine Kinder auf ein Klettergerüst heben, dass diese aufgrund ihres Alters sonst nicht hätten erklimmen können. Oder wenn sie ihre Kinder beim Rutschen auf den Schoß nehmen.
Das könne das Risiko von Beinbrüchen erhöhen, schrieben Forscher der Universität von Iowa 2018 nach Auswertung von knapp 12.700 dokumentierten Rutsch-Unfällen. Zu den Brüchen kommt es demnach, wenn die Kinder mit ihrem Bein an der Rutsche hängen bleiben, der Schwung des Erwachsenen sie aber weiterschiebt.
Die gesetzliche Unfallversicherung erfasst alle Unfälle, die Kindern und Jugendlichen in Kita und Schule sowie Studierenden zustoßen. Rund eine Million meldepflichtige Unfälle waren es demnach im vergangenen Jahr. Beim Großteil sei es bei leichten Verletzungen geblieben, sagt Sprecherin Elke Biesel. Aber auch in Bildungseinrichtungen und auf den Wegen dorthin gebe es schwere und tödliche Unfälle.
Ein wichtiger Baustein für mehr Sicherheit ist aus ihrer Sicht, den Kindern Risikokompetenz beizubringen: «Damit Kinder lernen, sich sicher zu verhalten, müssen sie lernen, mit Risiken umzugehen. Ohne Risiko keine Sicherheit.» Dies müsse aber pädagogisch angeleitet sein und dürfe nicht dazu führen, dass Verletzungen in Kauf genommen würden.
Kinderarzt Maske hat aber auch eine gute Nachricht: Übervorsichtige Eltern erlebt er in eher gebildeten Haushalten. «Das sind Eltern, die zu viel im Internet oder Büchern lesen.» Eltern, die sich dann von Schreckensnachrichten über verunglückte Kinder und verschiedenster Ratgeber-Literatur verunsichern lassen. «Die kriegen in der Regel die Kurve», weiß Maske aus Erfahrung. Zum Beispiel dann, wenn sich herausstellt, dass ihre Kinder motorisch gefördert werden müssen.