Zwei Drittel aller Jugendlichen spielen Online-Spiele, die ihnen ermöglichen, sich zu erholen, verschiedene Identitäten auszuprobieren oder sich in Communities zu engagieren. Es braucht laut Nina Kiel aber eine ausgrenzungssensible Spielekultur und -branche, damit Kinder und Jugendliche vor Diskriminierung, Mobbing oder Kostenfallen geschützt sind.Digitale Spiele nehmen einen hohen Stellenwert in der heutigen Medien- und Kulturlandschaft ein. Die Spieleindustrie hat sich zur umsatzstärksten aller Unterhaltungsindustrien entwickelt (Boksch 2020), Games sind seit mehr als einer Dekade in Deutschland offiziell als Kulturgut anerkannt und gerade aus der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Nur acht Prozent der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland haben laut JIM-Studie 2020 keinerlei Berührungspunkte mit digitalen Spielen – diesem geringen Anteil stehen 68 Prozent der Jugendlichen gegenüber, die regelmäßig (das heißt: mindestens mehrmals pro Woche) spielen.

Doch obwohl Games, wie immer wieder betont wird, längst „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ sind, ist der um sie geführte Diskurs mitunter einseitig von Risikoabwägung und -prävention geprägt. Im Zentrum stehen hierbei Gewaltdarstellungen in und mögliche Suchtpotenziale von digitalen Spielen, obschon bis heute kein eindeutiger Zusammenhang zwischen fiktiver und realer Gewalt nachgewiesen werden kann (Przybylski und Weinstein 2019) und auch das Thema Spielesucht unter Wissenschaftler*innen kontrovers diskutiert wird (van Rooij et al. 2018). Der vorliegende Artikel zeichnet ein differenzierteres Bild und stellt neben kritikwürdigen Aspekten der Spielekultur, speziell im Hinblick auf Kinderrechte im digitalen Raum, auch die zahlreichen Chancen vor, die mit der Nutzung von Games einhergehen können.

Digitale Spiele als Möglichkeitsräume

Spielen ist ein menschliches Grundbedürfnis und laut Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention ein Kinderrecht, das nicht zuletzt für die selbstbestimmte Aneignung der Welt und die Entfaltung sozialer Kompetenzen von Kindern elementare Bedeutung besitzt. Es ist nur folgerichtig, dieses Recht heutzutage, da Spiel und Freizeit zunehmend im digitalen Raum stattfinden, auch auf Games zu übertragen.

Digitale Spiele können ihren Nutzer*innen vielfältige Möglichkeiten eröffnen, die teilweise an andere Medienformen anknüpfen, mitunter aber auch über sie hinausweisen. Einen großen Reiz am Gaming macht etwa die Option aus, in andere Rollen zu schlüpfen: So geben 68 Prozent der Gamer*innen an, dass sich digitale Spiele hierfür besonders gut eignen, 78 Prozent heben es als positiv hervor, wenn sie das Geschlecht ihrer Spielfigur selbst bestimmen können (game 2020). Bedingt durch die Interaktivität digitaler Spiele können solche Perspektivwechsel als besonders intensiv und immersiv erlebt werden und junge Menschen um neue Blickwinkel bereichern, gerade wenn Games auf andere Lebensrealitäten verweisen. Die Interaktion in und mit virtuellen Welten ermöglicht darüber hinaus bedeutsame Selbstwirksamkeitserfahrungen, da Kinder die positiven wie negativen Konsequenzen ihres Handelns direkt erleben. Spiele wie „Minecraft“ – einem nach wie vor bei jüngeren Kindern populären Titel auf dem Markt – bieten Handlungsspielräume für kreatives Experimentieren und können dazu beitragen, Problemlösungskompetenzen zu schärfen.

Doch gespielt wird nicht nur allein in den eigenen vier Wänden: Menschen treffen sich privat oder im öffentlichen Raum – auf kleinen Veranstaltungen ebenso wie großen Messen –, um gemeinsam Games zu genießen und kollaborativ zu spielen oder den Wettbewerb miteinander zu suchen. Über (Voice-)Chats in Multiplayer-Spielen und Plattformen wie Discord ist Spieler*innen heutzutage die Vernetzung mit Gleichgesinnten aus aller Welt möglich. Hervorzuheben ist hierbei nicht nur das gemeinsame Interesse an digitalen Spielen als wichtiges verbindendes Element, sondern auch, dass bestimmte für Diskriminierungserfahrungen relevante Faktoren wie Hautfarben, religiöse Zugehörigkeiten, ästhetische Körperideale und Behinderungen beim Online-Gaming in den Hintergrund treten und so Zugangshürden abgebaut werden können. Gaming-Communities, auch in Form von Foren oder Fanklubs, können ein starkes Zugehörigkeitsgefühl vermitteln und es ihren Mitgliedern ermöglichen, Verantwortung zu übernehmen, etwa wenn sie Moderations- oder Verwaltungsaufgaben nachgehen. Auch Kinder dürfen hier spannende Beteiligungsformen ausprobieren und so Erfahrungen mit digitaler Teilhabe machen.

Wie bedeutsam diese Vernetzungsmöglichkeiten sind, ist seit Beginn der Coronapandemie besonders deutlich geworden: Digitale Spiele ermöglichen es Kindern wie Erwachsenen, sich trotz strenger Kontaktbeschränkungen als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen (Moorstedt 2020) und den Kontakt zu ihren Mitmenschen zu erhalten.Während sich im Hinblick auf die Diversität in digitalen Spielewelten insbesondere in den letzten zehn Jahren einiges getan hat und die Akzeptanz dieser Vielfalt unter Spieler*innen zunimmt (Shi 2019), erleben speziell Frauen, Angehörige der LGBTQI*-Communitys und People of Colour bis heute Ausgrenzungsprozesse (Banaszczuk 2019), die sich auf verschiedenen Ebenen äußern und dabei auch Kinderrechte tangieren. Diese Prozesse können etwa die Form von höherem Leistungs- und Erwartungsdruck gegenüber Angehörigen marginalisierter Gruppen annehmen, sich aber gleichsam in offener Feindseligkeit durch Cybermobbing und Hatespeech äußern, im nicht-virtuellen wie im virtuellen Raum. Zwar sind bestimmte Anknüpfungspunkte für Diskriminierung im Onlinespiel potenziell weniger sichtbar, doch kann speziell die Stimme Aufschluss über die – insbesondere geschlechtliche – angenommene Identität einer Person geben und als Ziel für Trolling, Trash-talk und Hatespeech dienen. Dieser Umstand berührt unmittelbar das Recht von Kindern auf Schutz und Sicherheit (Art. 19, UN-KRK) und das Grundprinzip der Nichtdiskriminierung (Art. 2, UN-KRK), das im Online-Gaming nicht immer gewährleistet werden kann, weil es hierfür bis heute an bewährten Methoden mangelt.

Safe Spaces: Online und offline

Wenngleich Gaming und speziell das gemeinsame Spielen zunehmend online stattfindet, ist es ebenso wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, um für die Sicherheit und das Wohlergehen von Spieler*innen im nicht-virtuellen, öffentlichen Raum zu sorgen. Als Grundlage hierfür kann etwa ein sogenannter „Code of Conduct“ genutzt werden, eine Liste von Verhaltensregeln, die für alle Teilnehmer*innen einer Veranstaltung verpflichtend sind. Diese Regeln können und müssen stets an die Bedürfnisse einer Community angepasst werden, verweisen aber üblicherweise insbesondere auf diskriminierendes Verhalten und die Konsequenzen solchen Handelns. Unerlässlich ist es, überdies konkrete Ansprechpartner*innen zu nennen, an die sich Betroffene von Diskriminierungserfahrungen oder Mobbing direkt und unkompliziert wenden können.

 

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