Sie war einmal Entdeckungsreservat, aufregender Spielort und Zentrum für soziale Begegnungen: die Straße. In früheren Generationen verbrachten Kinder einen Großteil ihrer Kindheit draußen. Doch zum unbekümmerten Draußenspielen bieten Wohnumgebungen heute kaum noch Möglichkeiten: Naturflächen gibt es in der Stadt immer weniger und die Straßen werden von Autos dominiert.  

Straßen begleiten uns auf all unseren Wegen. Meist werden sie von uns in erster Linie als Fahrbahnen für Autos, Busse, LKWs oder Fahrräder wahrgenommen – oder als Stellplatz. Fast nie assoziieren wir die Straße aber mit Menschen. Wir Menschen werden auf einen separaten Fußweg verlagert, um dem motorisierten Individualverkehr Platz zu machen. Dass die Straßen auch anders genutzt werden könnten, zum Beispiel als große Spielflächen im Freien, klingt bei unserem aktuellen Verständnis von Straßen und Verkehr innovativ, wenn nicht sogar revolutionär. Genau das ist aber die Idee von temporären Spielstraßen: Einen Ort für Alt und Jung zu schaffen, um sich zu begegnen, zu spielen und sich kennenzulernen. 

Denn die Straße bietet ganz andere Möglichkeiten als ein gerätelastiger Spielplatz – etwa Platz zum Fahrrad-, Inliner- und Rollerfahren oder für Straßenspiele und Kreidebilder. Die Bedingungen für Kinder zum Draußenspielen haben sich drastisch verschlechtert: Gerade in Wohngebieten fahren Autos zu schnell oder nehmen Kindern parkend den Platz zum Spielen. Eine temporäre Spielstraße könnte das Flächendefizit zumindest teilweise ausgleichen und die Kinder zum Draußenspielen motivieren. 

Konkret funktionieren temporäre Spielstraßen so, dass ein geeigneter (Neben-)Straßen-Abschnitt für mehrere Stunden oder einen ganzen Tag für den Autoverkehr gesperrt wird, um die Fläche anderweitig nutzbar zu machen. Solche Spielstraßen auf Zeit sind fast ohne Kosten realisierbar und ressourcenschonend, weil der Platz, der bereits da ist, einfach genutzt werden kann und keine Umbauten erforderlich sind. Eine temporäre Spielstraße kann jeder und jede initiieren. Sie fördert das Zusammenleben in einer Straße ungemein. 

2019: Gründung des “Bündnisses Temporäre Spielstraße” 

Im März 2019 haben Mitstreiterinnen und Mitstreiter das Bündnis Temporäre Spielstraßen gegründet. Dazu zählen neben dem Deutschen Kinderhilfswerk auch der Dachverband Berliner Kinder -und Schülerläden oder der BUND Berlin. Arbeitsschwerpunkt ist Berlin, wir unterstützen aber auch dabei, das Konzept bundesweit voranzubringen. Das Bündnis will lokale Initiativen auf dem Weg zur temporären Spielstraße unterstützen. Voraussetzung ist, dass Anwohnende sich zusammentun und sie beim Bezirk beantragen. Jeder und jede kann also durch vergleichsweise wenig Aufwand dazu beitragen, für die Kinder unserer Städte viel zu bewirken. 

Nach Ansicht des Deutschen Kinderhilfswerkes können temporäre Spielstraßen dafür sorgen, dass auch Kinder in dicht bebauten Innenstadtbereichen zumindest zeitweise ausreichende Bewegungs- und Freiflächen direkt in ihrem Wohn- und Lebensumfeld haben. Denn durch die ständige Verdichtung und Versiegelung unserer Städte gehen für Kinder und Jugendliche wichtige Freiflächen und Spielmöglichkeiten verloren. Studien des Deutschen Kinderhilfswerkes belegen eindeutig, dass sich eine kinderfreundliche Stadtplanung und die Möglichkeiten zum selbstbestimmten Spielen maßgeblich auf die Lebensqualität und Entwicklungschancen von Kindern auswirken. Gleichzeitig verbessert sich das soziale Klima in dem Maße, wie die Qualität des Wohnumfeldes steigt. Deshalb brauchen wir dringend eine auf Kinder bezogene Stadtentwicklungspolitik, um die Lebensqualität und die Entwicklungschancen von Kindern zu verbessern. 

Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert Kommunen und Landkreise daher dazu auf, mehr temporäre Spielstraßen einzurichten. Ein veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses von Berlin legt dar, dass eine solche Einrichtung nach den derzeitigen Bestimmungen der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) problemlos möglich ist. Initiativen von Anwohnenden, aber auch Kinder- und Jugendparlamente sind aufgefordert, entsprechende Anträge bei den Straßenverkehrsbehörden der Kommunen oder Landkreise zu stellen. 

Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass auf Grundlage der Straßenverkehrsordnung "kein Grund" ersichtlich sei, warum man eine temporäre Spielstraße nicht einrichten könne. Dafür brauche man lediglich die Verkehrsschilder für Fahrverbote und mit ballspielendem Kind. Das Gutachten führt weiter aus, dass "die Einwirkungen auf den Verkehr hierbei wesentlich geringer sind als bei dauerhaften Spielstraßen, die mit einem zeitlich unbegrenzten Fahrverbot verbunden sind". 

Weitere Informationen zum Bündnis Temporäre Spielstraßen sowie einen Leitfaden und Schulungsfilm zur Umsetzung im eigenen Kiez finden Sie hier. 

Temporäre Spielstraße im Graefekiez seit August 2019 

Im Kreuzberger Graefekiez in Berlin setzten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kinder- und Schüler/innenläden ebenfalls für eine temporäre Spielstraße ein. Mit Erfolg: Seit Ende der Sommerferien 2019 ist die Böckhstraße im Graefekiez einen Nachmittag pro Woche autofrei und damit die erste dauerhaft angelegte, tatsächlich durchgeführte temporäre Spielstraße der Stadt. 

In der warmen Jahreszeit können Kinder immer mittwochs von 14 bis 18 Uhr auf der Straße Fahrradfahren üben, Fangen spielen oder Kreidebilder malen. Und Erwachsene setzen sich, wenn sie Lust haben, zum Kaffeetrinken mitten auf die Fahrbahn. Ein echter Durchbruch – vor allem im Vergleich zum jahrelangen Tauziehen um die Guvanger Straße. 

Das Projekt „Straße, Spiel und Nachbarschaft!“ 

Im Projekt “Straße, Spiel und Nachbarschaft”werden die verschiedenen temporären Spielstraßen Berlins zu kreativen und inklusiven Hotspots. Die Kinder und Jugendliche können sich in vier Teilprojekten ausprobieren. Diese sind: 

  • Gemeinsam im Kiez – Pflanzen, Schach, Schrott und Strickerei 

Setzlinge, Pflanzen, Samen, Blumen und Zubehör wie Körbe und Kränze werden untersucht und bearbeitet. Parallel dazu wird Schach (das Spiel der Könige, dem der Nimbus der Hochkultur anhaftet) auf die Straße gebracht und somit zum niederschwelligen Spielangebot für alle. 

  • Spielstrassenmobil 

Das Spielstraßenmobil – ein Lastenfahrrad mit Anhänger, vollgeladen mit besonderen Spiel-, Spaß und Fahrgeräten speziell für die Straße – besucht (meist unangekündigt) die verschiedenen temporären Spielstraßen. Das Material wechselt und bleib so über die Saison hinweg eine kleine Wundertüte. 

  • Spielstrassentheater 

Mit Mitteln des Theaterspiels wird das Entdecken des eigenen Seins im sozialen und kulturellen Gefüge von Nachbarschaft und Großstadt initiiert. In zwei Teilen: Zunächst spielt die Puppenspielerin ein Stück zum Eintauchen ins Thema und anschließend gestalten die Kinder eigene Szenen und Figuren. 

  • Setze ein Zeichen in deinem Kiez 

In offenen Workshops wird das Thema Mobilität und deren Auswirkung auf den eigenen Kiez zunächst untersucht und dann kreativ bearbeitet. Das Gegebene nicht als unumstößlich hinzunehmen ist dabei ein wichtiger Aspekt. 

 

Temporäre Spielstraßen überzeugen auch die Politik 

Die Idee der temporären Spielstraßen überzeugt aber nicht nur auf der bezirklichen Ebene: Auch die ehemalige Bundesfamilienministerin und ehemalige Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, konnte dieser Idee viel abgewinnen und bewarb das Konzept im Rahmen der Präsentation unseres Kinderreportes 2020 zum Thema Draußenspiel ganz offensiv. 

Seinem Ziel, temporäre Spielstraßen in Berlin zu etablieren, kam das Bündnis Temporäre Spielstraßen bereits zum Ende seines Gründungsjahres einen bedeutenden Schritt näher: Das Abgeordnetenhaus beschloss für den Doppelthaushalt 2020/2021 jeweils 50.000 Euro, um das Thema in der Stadt voranzutreiben. Zudem bewarb er das Mobilitätsgesetz/die Mobilitätswende mit dem Konzept der temporären Spielstraße und bekennt sich damit ganz klar zu dieser Idee. Auch für den Doppelhaushalt 2024/2025 werden wieder ausreichend finanzielle Mittel bereitgestellt, um alle Berliner Initiativen zu unterstützen. 

Wo Sie sich informieren und was Sie tun können 

Jede Unterstützung ist wertvoll, um ein generationsübergreifendes Miteinander zu schaffen und die Straße wieder als Ort des Zusammentreffens zu nutzen. Sie können 

  • sich beim Bündnis temporäre Spielstraßen über die Berliner Initiativen informieren, Argumentationshilfen für die verschiedenen Antragsmodelle sammeln oder sich direkt als Kiezlots*in für einen Einsatz in der temporären Spielstraße anmelden. Als erster Schritt ist auch ein einmaliger Testlauf am autofreien Tag im September denkbar. 
  • temporäre Spielstraße informieren und deutschlandweit vernetzen. 
  • sich weiter über konkrete Spielstraßenprojekte informieren: 
    Temporäre Spielstraßen auf draussenkinder.info Die Münchner*innen betreiben seit 2020 bereits 10 so genannte Sommerstraßen und planen dies auch weiterhin. 
  • An das Deutsche Kinderhilfswerk spenden – auch gerne konkret zum Thema Spielen. So können wir weitere Spielstraßenprojekte fördern und Lobbyarbeit in dem Bereich betreiben. Hier geht es zum Spendenformular. 

 

 

Hier finden Sie ein Video in dem Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamts Friedrichshain-Kreuzberg, die Vorteile von Temporären Spielstraßen erklärt. 

Weitere Informationen zum Bündnis Temporäre Spielstraßen sowie einen Leitfaden und Schulungsfilm zur Umsetzung im eigenen Kiez finden Sie hier. 

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